Türchen Dreizehn

„Der Fremde freute sich über die Pfiffigkeit des Mädchens. Wie gut, er hatte die richtige Person ausgewählt – wie immer.
»Ich bin nach Bescos gekommen, weil ich einen Plan habe. Vor langer Zeit hab ich ein Theaterstück eines Autors namens Dürrenmatt gesehen, den Sie gewiss kennen…«
Diese Bemerkung war als Provokation gedacht. Natürlich hatte dieses junge Mädchen noch nie den Namen Dürrenmatt gehört und würde wieder blasiert tun, so als wüsste sie, wer das war.
»Ja, und«, sagte Chantal gespielt gleichgültig.
»Es freut mich, dass Sie ihn kennen, ich will Ihnen aber auch sagen, welches seiner Stücke ich meine.« Er wählte seine Worte mit Bedacht, so dass sie nicht übermäßig ironisch klangen, aber doch klarmachten, dass er wusste, dass sie log. »Es geht darin um eine alte Dame, die als reiche Frau in ihre Heimatstadt zurückkehrt, um sich an ihrem einstigen Liebhaber zu rächen, der sie abgewiesen hatte, als sie noch ein junges Mädchen war, Ihr ganzes Leben, ihre Ehen, ihr finanzieller Aufstieg hatten nur dem einen Ziel gegolten: sich an ihrer ersten Liebe zu rächen.
Von dieser Geschichte ausgehend entwickelte ich mein eigenes Spiel: ich würde in einen abgelegenen Ort gehen, deren Bewohner eine Leben voller Freude, Frieden und Mitgefühl führen, und würde sehen, ob ich es schaffe, dass einige die wichtigsten Gebote brechen.«
Chantal wandte den Blick ab und schaute auf die Berge. Sie wusste, dass der Fremde gemerkt hatte, dass sie diesen Schriftsteller nicht kannte, und fragte sich bang, was nun kommen würde.“

(Paulo Coelho: Der Dämon und Fräulein Prym.)


Mein digitaler Adventskalender

Jeden Tag ein Türchen mit Zitaten aus Büchern, die mich berührt und inspiriert haben.

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