Joyce Carol Oates: SEXY // „Sexy“ ist eines der späteren Werke der amerikanischen Schriftstellerin Oates. Das Thema des Jugendromans ist so alt wie zu jeder Zeit aktuell – nicht nur für eine junge Leserschaft: sexuelle Übergriffigkeit gegenüber Minderjährigen. Vor allem wirft Oates zwei Fragen auf: Ab wann gilt ein Kontakt zwischen Lehrer und Schüler über das übliche Maß hinaus als verboten? Wem wird mehr geglaubt, wenn es Aussage gegen Aussage steht: dem beschuldigten Lehrer oder einer Clique von Jugendlichen? „Flurlektüre #6 Sexy von Joyce Carol Oates“ weiterlesen
Schlagwort: Bücherliebe
Flurlektüre #5 Einzig von Kathryn Evans
Kathryn Evans: EINZIG // Das sich spiegelnde Doppelbild des Buchcovers und der Klappentext erfassen den Kern des Jugend-Thrillers von Kathryn Evans: Ein 16-jähriges Mädchen hat nur 365 Tage zu leben, da danach eine andere ihr Leben weiterlebt. Eine neue Version ihrer selbst.
Die Idee ist so einfach wie genial: Das Mädchen Teva Webb wird quasi nicht älter. Jedes Jahr entsteht eine neue Version aus ihr selbst heraus. Diese neue Teva lebt das Leben weiter, während alle alten Versionen ihr weiteres Leben eingesperrt verbringen müssen, ohne älter zu werden. „Flurlektüre #5 Einzig von Kathryn Evans“ weiterlesen
Flurlektüre #4 Mario und der Zauberer von Thomas Mann
Thomas Mann: MARIO UND DER ZAUBERER // Wie der Untertitel es schon verrät, handelt es sich bei der Erzählung von Thomas Mann um eine Reisegeschichte mit tragischem Ende. „Flurlektüre #4 Mario und der Zauberer von Thomas Mann“ weiterlesen
Flurlektüre #3 Blumen für Zoë von Antonia Kerr
Antonia Kerr: BLUMEN FÜR ZOË // Das Faszinierendste des Buches vorweg: Es ist erstaunlich, dass die französische Schriftstellerin Antonia Kerr es in ihrem Debütroman von 2010 schafft, die Perspektive eines 60-jährigen Mannes einzunehmen, als sei sie ein Mann im selben Alter. Dabei war sie beim Erscheinen des Romans 21 Jahre und damit gerade mal so alt wie die junge Zoë, in die sich ihr Protagonist, der alternde Richard, verliebt. „Flurlektüre #3 Blumen für Zoë von Antonia Kerr“ weiterlesen
Flurlektüre #2 In die fremde Welt von Calvin Baker
Calvin Baker: IN DIE FREMDE WELT // Debütroman des amerikanischen Journalisten aus Chicago. Baker schreibt über sechs Protagonisten, die miteinander durch ihren gemeinsamen Stammbaum oder die traurige Geschichte der Sklaverei in Amerika verbunden sind. Brutal und nah schildert er zum Beispiel das Schicksal der Sklavin Sally, die mit ihrem Herrn das gemeinsame Kind Tomas hat und mit anderen Sklaven wie Ampofo weitere Kinder für die Arbeit auf den Baumwollplantagen zeugen soll. Dabei nimmt der Autor jeweils die Perspektive seiner Figuren ein. „Flurlektüre #2 In die fremde Welt von Calvin Baker“ weiterlesen
Flurlektüre #1 Faserland von Christian Kracht
Christian Kracht: FASERLAND. // Das Buch habe ich letzten Sommer aus dem Hausflur mitgenommen. Einerseits mochte ich die Coverfarbe, andererseits wollte ich erfahren, wie sich der Debütroman des etwas besserwisserischen Christian Kracht liest, den ich bisher nur aus Joachim Bessings „Tristesse Royale“ kannte. „Flurlektüre #1 Faserland von Christian Kracht“ weiterlesen
Türchen Vierundzwanzig
„Wieder waren wir in Berlin.
Doch meine Ada reiste bald nach Kopenhagen, ihre Verwandten besuchend und einem tiefliegenden Wunsch folgend, bei einem Gesanglehrer, dem sie Vertrauen schenkte, Gesangstunden nehmend. –
Ihre Stimme, zwischen rostrot und liladunkel liegend, hatte ich immer so besonders gern.
Es ging mit dem Unterricht und Fortschritt während der Wochen wunderschön, bis dann eines Tages in ungebührlicher Steigerung der Lehrer die Stimmbänder sprengte. Er trieb sie in seiner Begeisterung und Erregung zu einer Höhe hinauf, wo die Katastrophe kommen musste! Wäre ich ihm gegenübergestanden, prügeln hätte ich ihn mögen mit schreienden Hieben, so auch er schreien würde!
In Berlin hielt ich, während ihrer Abwesenheit, die Wohnungstür verriegelt. Ich malte und malte, Tag und Nacht; in den Nächten noch mehr als des Tags, zuweilen bis gegen den Morgen hinan. ›Leute im Dorfkrug‹, ›Mann und Frau‹, ›Schmied und Geistlicher‹ entstanden. Und dann malte ich die ›Heilige Nacht‹, der Stern leuchtend am Nachthimmel und Maria mit ausgestreckten Armen ihren gottgeborenen Sohn, das Jesuskind haltend, in höchstem Mutterglück. Ich malte die ›Auferstehung‹ in lila Morgenluft, und dann mein großes Bild ›Kreuzigung‹, wo der Heiland mit tiefgefurchtem Antlitz seinen menschlichen Erlösertod leidet.
Den Tod am Kreuz, der schwer gewesen sein wird. – Aber muss es nicht auch ein unermesslich hohes Glück sein, im Glauben der Gewissheit, als Gottes- und Menschensohn die Millionen Menschen alle damit von ewigen Feuerqualen zu erlösen? Könnte es einen größeren, glücklicheren Tod geben? Wenn Menschen und Priester wegen Christi Tod wehklagen und weinen, bekunden sie damit nicht ihre eigengeistige Kleinheit? Ist nicht der Tod eines jeden Menschen, in Leid und Not, in Krankheit oder Krieg, oder für nichts als nur das eigene Schicksal erfüllend, ein sehr viel schwererer Tod? – – Ich konnte es nicht lassen, diesen Gedanken zu folgen.“
(Emil Nolde: Mein Leben.)
Mein digitaler Adventskalender
Jeden Tag ein Türchen mit Zitaten aus Büchern, die mich berührt und inspiriert haben.
Türchen Dreiundzwanzig
„Frau Grieshabers Küchentisch stand direkt unter dem Souterrainfenster. Wenn sie auf ihrem Küchenstuhl saß, auf den sie in dickes Kissen gelegt hatte, konnte sie durch das Fenster auf die paar Steintreppen sehen, die zur Haustüre des Rückgebäudes führten. Sie sah immer nur die Schuhe und Beine der Leute, die hinein oder heraus gingen; sie erkannte fast jeden Hausbewohner an seinen Schuhen oder Beinen. Der alte Groll zum Beispiel trug immer nur schwarze Stiefel und hinkte ein bisschen, weil er einen kürzeren Fuß hatte. Die Groll-Tochter, die Traudel, erkannte sie an ihren strammen Wadeln und an ihrem schnellen Gang. Die Quirin Bobbi erkannte sie an den schlanken Beinen und an den Schuhen mit hohen Absätzen. Die alte Frau Gaisberger war leicht an ihrer grünen Gießkanne zu erkennen, die sie fast immer dabei hatte. Der Frau Kazmarek ihre großen Füßen steckten meist in ausgetretenen braunen Schnürschuhen, von denen jeder Schuh zwei radieschengroße Frostbeulenausbuchtungen hatten. Bei den jungen Burschen war es nicht so einfach, die hatten meist ähnliche Schuhe an. den Hafner Wigg kannte sie, weil er immer zwei Stufen auf einmal nahm. Den Benzinger Robert und den Quirin Xaver hatte sie schon öfters verwechselt. Die zwei hatten fast das gleiche Gangwerk und meist auch noch die gleichen Schuhe. Wenn Frau Grieshaber auf ihrem Küchenstuhl am Souterrainfenster saß, hockte die Centa meist auf ihrem Schoß und schnurrte, während der Kater Biwi wie ein Katzendenkmal auf der Anrichte in der Nähe des Ofens hockte und seine Krallen über den hölzernen Rand hängen ließ.“
(Artur Troppmann: Die Leute aus dem 30er Haus.)
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Türchen Zweiundzwanzig
„Was auch auf dem Zettel stehen mochte, es musste irgendeine politische Bedeutung haben. Soweit er es überschauen konnte, gab es zwei Möglichkeiten. Die eine und weitaus wahrscheinlichere, dass das Mädchen als Agentin im Dienst der Gedankenpolizei stand, wie er befürchtet hatte. Er wusste zwar nicht, warum die Gedankenpolizei ihre Mitteilungen gerade auf diesem Wege übermitteln ließ, aber vielleicht hatte sie ihre Gründe dafür. Der Text auf dem Zettel konnte eine Drohung sein, eine Vorladung, die Aufforderung, Selbstmord zu begehen, eventuell auch eine Falle. Aber es gab noch eine andere, abwegigere Möglichkeit, die sich ihm immer wieder aufdrängte, obwohl er sich vergeblich bemühte, sie zu unterdrücken. Die Möglichkeit nämlich, dass die Nachricht gar nicht von der Gedankenpolizei kam, sondern von einer Untergrundbewegung. Vielleicht existierte die Bruderschaft ja doch! Vielleicht gehörte das Mädchen ihr an! Dieser Gedanke war zweifellos absurd, aber er war ihm gleich durch den Kopf geschossen, als er das Stückchen Papier in der Hand gefühlt hatte. Erst ein paar Minuten später war ihm die andere, wahrscheinlichere Möglichkeit eingefallen. Und sogar jetzt, wo ihm sein Verstand sagte, dass die Botschaft vermutlich sein Todesurteil beinhaltete, glaubte er dennoch nicht daran, und die unvernünftige Hoffnung blieb, und sein Herz klopfte; nur mit Mühe vermied er ein Beben in der Stimme, als er die Zahlen in den Sprechschreiber murmelte.
Er rollte die erledigten Arbeitspapiere zusammen und schob sie in die Rohrpost. Acht Minuten waren vergangen. Er rückte die Brille auf der Nase zurecht, seufzte und zog den nächsten Packen Arbeit zu sich heran; obendrauf lag der Zettel. Er strich ihn glatt. Darauf stand in einer großen, unbeholfenen Handschrift: Ich liebe dich.“
(George Orwell: 1984.)
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