Türchen Vierundzwanzig

„Wieder waren wir in Berlin.
Doch meine Ada reiste bald nach Kopenhagen, ihre Verwandten besuchend und einem tiefliegenden Wunsch folgend, bei einem Gesanglehrer, dem sie Vertrauen schenkte, Gesangstunden nehmend. –
Ihre Stimme, zwischen rostrot und liladunkel liegend, hatte ich immer so besonders gern.
Es ging mit dem Unterricht und Fortschritt während der Wochen wunderschön, bis dann eines Tages in ungebührlicher Steigerung der Lehrer die Stimmbänder sprengte. Er trieb sie in seiner Begeisterung und Erregung zu einer Höhe hinauf, wo die Katastrophe kommen musste! Wäre ich ihm gegenübergestanden, prügeln hätte ich ihn mögen mit schreienden Hieben, so auch er schreien würde!
In Berlin hielt ich, während ihrer Abwesenheit, die Wohnungstür verriegelt. Ich malte und malte, Tag und Nacht; in den Nächten noch mehr als des Tags, zuweilen bis gegen den Morgen hinan. ›Leute im Dorfkrug‹, ›Mann und Frau‹, ›Schmied und Geistlicher‹ entstanden. Und dann malte ich die ›Heilige Nacht‹, der Stern leuchtend am Nachthimmel und Maria mit ausgestreckten Armen ihren gottgeborenen Sohn, das Jesuskind haltend, in höchstem Mutterglück. Ich malte die ›Auferstehung‹ in lila Morgenluft, und dann mein großes Bild ›Kreuzigung‹, wo der Heiland mit tiefgefurchtem Antlitz seinen menschlichen Erlösertod leidet.
Den Tod am Kreuz, der schwer gewesen sein wird. – Aber muss es nicht auch ein unermesslich hohes Glück sein, im Glauben der Gewissheit, als Gottes- und Menschensohn die Millionen Menschen alle damit von ewigen Feuerqualen zu erlösen? Könnte es einen größeren, glücklicheren Tod geben? Wenn Menschen und Priester wegen Christi Tod wehklagen und weinen, bekunden sie damit nicht ihre eigengeistige Kleinheit? Ist nicht der Tod eines jeden Menschen, in Leid und Not, in Krankheit oder Krieg, oder für nichts als nur das eigene Schicksal erfüllend, ein sehr viel schwererer Tod? – – Ich konnte es nicht lassen, diesen Gedanken zu folgen.“

(Emil Nolde: Mein Leben.)


Mein digitaler Adventskalender

Jeden Tag ein Türchen mit Zitaten aus Büchern, die mich berührt und inspiriert haben.

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